Spessartbogen 1. Etappe: 4.300 Marienkäfer und ein Milan
Vielleicht lag es an dem leichten Gepäck, an der kurzweiligen Unterhaltung oder der Aussicht auf das heimische Bett am Abend: Die 19 Kilometer der 1. Etappe des Spessartbogens sind wir jedenfalls regelrecht geflogen. Zusammen mit einem Milan und 4.300 Marienkäfern.
Und gleich vorab: Es ist tatsächlich ungeheuer bequem, mit dem Familien-Shuttle zum Startpunkt zu fahren, und dann ganz locker ohne Gepäck auf eine Weitwanderung zu starten. Wohl wissend, dass der heimische Herd und das eigene Bett am Ende des Tages geduldig warten. Insbesondere Exkursionen ins deutsche Hinterland an einem Montag oder Dienstag werden freudvoller, wenn die Wandersfrau kein Restaurant benötigt. Die Variante Weitwandern Deluxe hat definitiv bereits jetzt ihren Reiz!
Erste Glücksmomente
Ganz gemütlich kurz nach 10 Uhr starten wir vom Wanderparkplatz am Fuße des Buchbergs bei Langenselbold. Und irgendwie “gemütlich” ist auch der Wald Richtung Rodenbach und Albstadt. Die Wegführung verzückt uns gleich zu Beginn mit der Wahl von kleinen aber ebenen Pfaden – im Spessart mit seinen zahlreichen breiten Forstwegen keine Selbstverständlichkeit.
Das Licht schimmert durch die hohen Baumkronen, die Temperatur ist sommerlich frisch – ein erster Glücksmoment stellt sich ein! Denn Glücksmomente sind es ja, die der Spessartbogen auf seiner offiziellen Website in Serie verspricht. Wir halten also besser mal Augen und Sinne offen!
Kunst am Spessartbogen
Mit der “Wabernden Welle” treffen wir bald auf die erste “Kunst am Spessartbogen”. Die Waldbemalung soll die “visuelle Wahrnehmung anregen” erklärt ein Schild hinter einem “Einzelsitz”, der im “Punkt der zentralen Perspektive” stehen soll. Es dauert einen Augenblick, bis die Blickrichtung für uns klar ist.
Doch da! Scharf rechts greifen ein paar weiße Markierungen das natürliche Spiel mit dem Licht auf und verstärken es. Die Kunst darin liegt wie immer im Auge des Betrachters. Aber das Spielerische daran macht einfach Freude. Vor allem wenn dann noch ein kleiner Hobbit oder Waldschrat oder was das sein soll oberhalb der Balken durch das Bild rennt.
4.300 Marienkäfer
Überaus vergnüglich auch die vielen Tafeln im Wald, die uns über Hornissen, Holzböcke und Co. aufklären. Wer wusste zum Beispiel, dass es etwa 4.300 Marienkäferarten gibt? (Kein Witz!) Und dass die Anzahl der Punkte rein gar nichts über ihr Alter aussagt? Dass Hornissen anscheinend nicht schlafen und rote Eichhörnchen bis zu 5 Meter weit springen können? Nach mehr als einem Dutzend Tafeln werden wir schon müde von so viel Naturkunde.
Für dringend erwähnenswert halte ich jedoch, dass der männliche Holzbock (aka gemeine Zecke) auf dem Körper seines Wirts (aka Mensch) nur herumläuft, um ein Weibchen zur Paarung zu suchen. Wie auch bei den Moskitos sind es nämlich die Weibchen allein, die die ganze Arbeit machen (aka Blutsaugen). Wäre eine Angleichung der Weibchen an ihre männlichen Kollegen hier nicht wirklich wünschenswert?
Bevorzugt Wiesenwege am Waldrand
Kurz vor der Hütte der “Schutzgemeinschaft Deutscher Wald” im Walderholungsgebiet “Dicke Tanne” am Kirchberg gibt es zur Abrundung der Lehrstunde noch ein Insektenhotel mit Erläuterung. Direkt an der Hütte hat es weitere Tafeln und Schilder, einen Kinderspielplatz und Bewirtung. An drei Tagen die Woche, ab 13:30 Uhr. Im Moment jedoch nicht.
Ist auch noch zu früh. Wir gehen zügig weiter und genießen, wie der Weg uns hinausführt aus dem Wald auf große Wiesen- und Weideflächen mit Blick auf Somborn.
Es wird nicht das einzige Mal sein, dass wir eine scharfe Abbiegung vom Waldweg weg auf eine scheinbar weglose Wiese übersehen. Aber gut – ein paar Meter mehr oder weniger machen ja nichts, und zum Glück fällt es sofort auf, wenn die vertrauten Schilder mit den zwei Bögen plötzlich fehlen!
Summende Blumenwiesen
Die vielen Blumenwiesen zwischen den Feldern summen und brummen um diese Jahreszeit. Herrlich bunte Blicke unter strahlend blauem Himmel mit genau der richtigen Menge hingetupfter Wolken. Definitiv ein Glücksmoment ist unsere einstimmige Meinung. Wir entdecken ein Erdwespennest und hören die Rufe der ersten Greifvögel im offenen Feld.
Weiter geht es auf die Streuobstwiesen zwischen Somborn und Albstadt. Was auch immer wir später über 2020 sagen werden – es ist auf jeden Fall ein Jahr mit reicher Obsternte! Die Apfelbäume am Wegesrand brechen schier zusammen unter ihrer Last. Als würde es kein Morgen geben.
Keine Versorgungsengpässe
Ein Milan kreist majestätisch über unsere Köpfen und weist uns den Weg zu den Albstädter Seen. Das Restaurant “El Greco” am hiesigen Tennisplatz hat täglich außer montags ab 11 Uhr durchgängig geöffnet für Freunde griechischer Kost zur Halbzeit der Etappe. Dazu zählen wir nicht.
Und dank des Startes im eigenen Heim ist unsere Versorgungslage ohnehin exzellent und eine Einkehr nicht nötig. Für Mitgebrachtes ist ein Picknick an den drei kleinen Weihern hinter dem Tennisheim eine schöne Alternative. Und rund 3 Kilometer später wartet bereits der spektakuläre Fernblick mit italienischem Restaurant und Aussichtsturm oberhalb von Neuses auf die Wanderer. (Der Italiener hat nur zum Wochenende hin mittags geöffnet, sonst ab 16 Uhr.)
Glücksmoment Fernblick
Wer nach 14 Kilometern auf der 1. Etappe des Spessartbogens noch 80 Stufen in den Beinen hat und Lochgitter-Treppen nicht fürchtet, sollte unbedingt den herrlichen Rundblick vom Rodfeldturm genießen. Von hier sieht man bis in die Wetterau und den Vogelsberg.
Ein überraschend frisches Lüftchen lässt uns hier die Sonne suchen und rätseln, ob wir die Wettervorhersage richtig gelesen haben. Doch wenigstens die Wolken bleiben dem Bericht treu und ziehen unverrichteter Dinge wieder ab.
Der Weg entführt uns nun statt auf direkter Strecke zum Ende der Etappe bei Horbach rund 5 Kilometer durch den Wald vorbei am historischen Gasthaus “Frohnbügel”. Das erste echte Wirtshaus im Spessart!
Milchkur für Touristen
Allerdings besteht bei dem Gasthaus oberhalb von Omersbach noch kein Zusammenhang mit Räubern oder Lilo Pulver. Eröffnet wurde das Haus im Jahr 1905. Der Spessart war bis zum 1. Weltkrieg ein beliebtes Ausflugsziel für “Kurgäste”, heißt es auf einer Tafel. Denn so hießen damals alle Touristen, “die sich mehr Luxus als nur einen Wanderausflug leisten konnten”.
Spezialitäten des Hauses, das seinerzeit noch “Waldesruh” hieß: der eigene Apfelwein und eine Milchkur! Denn frische Milch sei in den Städten der Region etwas Besonderes gewesen. Man fuhr aufs Land, um sie genießen zu können.
Auch heute bietet das Restaurant noch regionale, gutbürgerliche Kost – von Mittwoch bis Sonntag ab frühen Nachmittag.
Idyllisches Finale in Horbach
Recht steil bergab geht das letzte Stück vom Frohnbügel vorbei an Hügelgräbern aus keltischer Zeit zum Finale des Tages: dem Gondelteich bei Horbach. Auch wenn Waldautobahnen mit diversen Bikern diese letzten Meter etwas eintönig gestalten, gleicht der idyllische Weiher mit seinen Wildgänsefamilien die Glücksmoment-Bilanz sofort wieder aus.
Und dank der App “Flora Incognita” wissen wir jetzt auch, dass die elegante Pflanze an vielen Ufern der kleinen Weiher im Spessart den klangvollen Namen “Blutweiderich” trägt.
Bilanz:
- 19 Kilometer von Langenselbold nach Horbach
- Vergnüglicher Einstieg in die Weitwanderung, der nicht wehtut
- Perfekter Mix aus Wald und Feld, Schatten und Weite
- Einkehr an vielen Stellen, wenn auch nicht an allen Tagen oder Zeiten
- Bildung möglich, aber nicht zwingend
- Weitwandern Deluxe rocks!
Glücksmomente:
- Wald am Buchberg mit seinen schmalen Pfaden und dem unterhaltsamen Lehrpfad
- Summende Wiesen mit Blick auf Somborn
- Pralle Apfelbäume bei Albstadt
- Fantastischer Fernblick
- Wildentenfamilie am Gondelteich
Bildergalerie zur 1. Etappe auf dem Spessartbogen
Weiterführende Links
Übersicht Spessartbogen auf dieser Website:
Spessartbogen: Glücksmoment Weitwandern
Offizielle Beschreibung der Etappe auf der Website des Spessartbogens:
“Herrliche Landschaftsblicke”
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