Hildegard von Bingen. Skulptur in Eibingen. Foto: Simone Viel
Hildegardweg,  Mindful Living

Hildegardweg: 9 Tage zu Fuß durch Rheinland-Pfalz (Teil 0/9)

Ich bin nicht katholisch, aber gerne an der frischen Luft. Reicht das als Motivation für eine Pilgerreise?

Tatsächlich war mein allererster Gedanke, einfach ein schönes eigenes Projekt zu starten. Vier meiner fünf Wanderreisen als Reiseleiterin diesen Sommer sind offiziell abgesagt. Und Depression ist nicht gut für meine Gesundheit.

Warum also nicht mal ein paar Tage am Stück auf dem Hildegardweg wandern? Knapp 150 Kilometer von Idar-Oberstein nach Bingen und Rüdesheim. Lüften, in Bewegung kommen, Perspektivwechsel, etc.

Doch es ist tatsächlich mehr als das. Denn sonst hätte ich ja auch die 90 Kilometer des Spessartbogens laufen können – näher und bequemer. Oder irgendwo die Alpen überqueren – mehr Ruhm und Ehre.

Auf den Spuren einer charismatischen Frau

Klein, aber oho: Die heiligen Hildegard vor der Abteikirche in Eibingen.Nein, ich bin tatsächlich ziemlich fasziniert von Hildegard von Bingen. Eine ganz zierliche Frau muss sie gewesen sein. Schon als Kind kränklich und schwach, heißt es. Aber sie ist 82 Jahre alt geworden (was an sich schon eine Leistung ist im 12. Jahrhundert!), hatte als gestandene Äbtissin Briefwechsel mit den Mächtigen ihrer Zeit.

Und was mich gerade ganz persönlich interessiert: Mit Anfang 50 hat sie ihren Kram im Benediktiner-Kloster an der Nahe gepackt und gesagt: „Macht’s gut, Jungs! Ich fang nochmal von vorne an, und meine Mädels kommen alle mit!“ (Meine Worte 😉 )

Ziemlich selbstbewusst, entgegen deutlicher Widerstände und wie man ihr öfter nachsagt, durch nichts von dem Entschluss abzubringen.

Innere Stärke, Intuition, Verbindung zum Göttlichen

Sie handelt aus einer tiefen inneren Überzeugung, besteht immer wieder darauf, dass Gott in einem oder durch ein Licht zu ihr spricht. Sie nennt es „das Lebendige Licht“. Das wollte schon damals – zumindest anfangs – keiner hören, allerdings aus anderen Gründen als heute…

Wie auch immer: Die kleine, kränkliche Frau, zehntes Kind aus einer Adelsfamilie vom Lande, hatte offenbar große innere Stärke, Durchsetzungswille und Charisma. Ihre Zeitgenossen verehrten sie als Visionärin, als Heilkundige und Universalgelehrte.

Gott und Buddha und die Heiligen

Fresko mit der heiligen Hildegard.Nun ist das „G-Wort“ im westlichen Kulturkreis gerade nicht so en vogue. Wir sind lieber spirituell als religiös, achtsam statt tugendhaft oder am allerbesten rational und skeptisch. Meditieren ist vielleicht noch in Ordnung, aber Beten im Allgemeinen eher zweifelhaft.

Ich liege hier voll im Trend, wenn ich mich dem Buddha näher fühle als dem Papst, habe ich unlängst bei meiner Rückkehr aus Asien in der Frankfurter Bahnhofsbuchhandlung bemerkt.

Und wenn ich in Berührung komme mit christlicher Weltanschauung und Ritual, fremdle ich zugegebenermaßen bei einigen entscheidenden Konzepten.

Worum geht es beim Pilgern?

Warum dann also gleich pilgern und nicht einfach weit wandern? Pilgern ist traditionell definitiv mit Religion verknüpft, im Christentum genauso wie im Islam, im Buddhismus oder im Hinduismus.

Indien ist voller Wallfahrer, die barfuß zu einer heiligen Stätte pilgern, um aus vollstem Herzen einen Aspekt des Göttlichen zu verehren. Der westliche Besucher, für den Individualität das höchste Gut ist, staunt und wundert sich angesichts der unglaublichen Hingabe.

Wie übersetzt sich das, was ich in Indien oder auch Burma erlebt habe, ins ländliche Rheinland-Pfalz (gerne karikiert als das Land der “Reben und Rüben”)? Ein deutsches Bundesland, das eher für seine Bodenständigkeit als für spirituelle Ekstase und massenhafte Heiligenverehrung bekannt ist?

Keine Religion, also Wellness-Wallfahrt?

Der Weg ist das Ziel.Vielleicht muss es ja nicht Religion sein, die beim Pilgern die treibende Kraft ist. Und vielleicht lässt sich ja GERADE in Rheinland-Pfalz ein Begriff wie “Gott” oder “das Göttliche” für den Hausgebrauch übersetzen.

Eher wie in dieser Definition: „Während der Wanderung geht es darum, den Alltag hinter sich zu lassen und sich auf die wesentlichen Dinge im Leben zu konzentrieren.”
Eine Sehnsucht, die sicher viele Menschen teilen.

Die Frage ist: Was sind die wesentlichen Dinge? Haus, Hof und Herd oder doch eher Familie und Freunde? Besitz oder Beziehung? Worum geht es? Das Pilgern startet mit vielen Fragen. Und das soll es auch. Denn wie gesagt – Natur und Wellness hätte es auch im Spessart gegeben.

Weitwandern mit Inspiration

Arbeitsthese: Pilgern ist Weitwandern plus. Nicht nur schöne Landschaften und Bewegung an der frischen Luft. Und bitte auch nicht das nächste ehrgeizige Projekt in einer Gesellschaft, in der selbst Freizeit Leistungsdruck mit sich bringen kann. Mehr: Lüften, in Bewegung kommen, Perspektivwechsel!

Das Extra, was aus der Wellness-Wallfahrt das Pilgern macht, ist die Inspiration auf den Spuren eines besonderen Menschen. Eine Person, die mehr gesehen und verstanden hat von dieser Welt als ich.

Mich fasziniert Hildegard von Bingen, weil viele ihrer Aussagen so ganz ähnlich klingen wie die Welt-Anschauung, der ich im Osten immer wieder begegnet bin. Ein Phänomen, das viele mystische Lehren verbindet: Der Kern aller Weisheitstraditionen erscheint immer wieder als derselbe.

Zurück zu den Wurzeln

Frühling in der Heimat.Nun bin ich neugierig, ob eine Pilgerreise in Rheinland-Pfalz mich nach 9 Jahren “in der Fremde” wieder etwas näher heranführen kann an meine eigenen Wurzeln!

„Wer nicht sucht, der findet nicht. Der Strom fließt nicht zu den Menschen, die ihn zwar kennen, aber nicht zu ihm kommen wollen, sondern sie müssen zu ihm hinzu treten, wenn sie sein Wasser zu schöpfen begehren“, sagte Hildegard einmal.

Dafür war ich schon immer zu haben. Dann halt jetzt Sinnsuche an der Nahe statt am Ganges. Los geht’s!

Strahlende Sonne und Regengüsse, Wohlfühlmomente und körperliche Blessuren, piefige Pensionen und freundliche Menschen, Pleiten, Pech und Pannen und wunderbare Aha-Momente – kurzum das pralle Leben – das gibt es ganz sicher nicht nur in Indien!

Weisheit von Hilde: “Sei stark und gerüstet auf jedem Gebiet und pflege das Leben, wo du es antriffst.”

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Eckdaten für den Hildegardweg

Die offizielle Website hat 3 verschiedene Angaben für die Länge des Weges.
Aber in etwa sind es wohl:

  • 140 Kilometer Fußweg
  • 3.290 Höhenmeter im Aufstieg und 3.456 Höhenmeter im Abstieg
  • höchster Berg nicht mehr als 500 Meter
  • Netto-Wanderzeit geschätzt mit 40 Stunden

Mein Plan:

  • 10 Etappen in 9 Tagen
  • durchschnittlich 15 Kilometer pro Tag
  • Start am Donnerstag, 25. Juni in Idar-Oberstein
  • Großes Finale am Freitag 3. Juli  in Bingen / Rüdesheim

Wer in Gedanken mitpilgern möchte: Ich schreibe jeden Tag hier im Blog und verlinke auf Facebook.
Die schönsten Fotos vielleicht auch im Status von Instagram und WhatsApp.
Mal sehen, wie die Zeit reicht. Soll ja kein ehrgeiziges Projekt werden. 😀

Außerdem sind mehrere Reportagen in den rheinhessischen Ausgaben der Allgemeinen Zeitung Mainz und ein Fototagebuch in der Facebook-Gruppe der AZ Rheinhessen in Planung.

Kommt also gerne mit auf den Weg!

 

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