Mehr Sicherheit für das Kletterparadies Thailand
Es ist ein sonniger Tag Ende der 90er. Zwei Schweden klettern eine Mehrseillänge in der Tonsai-Bucht im Süden Thailands. Am ersten Stand klippt der Vorsteiger zusätzlich zum Ankerpunkt den ersten Haken der nächsten Seillänge. Einfach so, damit das Weiterklettern nachher reibungsloser geht. Er sichert den zweiten Mann über einen von drei Expansionshaken am Standplatz. Der Stand ist bequem, die Haken glänzen wie neu. Was will man mehr?
Als der Nachsteiger ankommt, hängt er sich routinemäßig dazu und lehnt sich zurück. Plötzlich bricht der gesamte Stand aus der Wand – ohne Vorwarnung, allein unter dem zusätzlichen Körpergewicht des Kletterers! Was die beiden Schweden rettet, ist der eher beiläufig geklippte Haken der nächsten Tour.
“Klettern an Expansionshaken in Thailand ist wie Free solo”
Eine Geschichte wie sie nach vielen Jahren des Reboltings nicht mehr passieren sollte. Dennoch: “Klettern und Sichern an Expansionshaken in einer Umgebung wie Thailand ist im Grunde wie Free solo klettern”, fasst Tom Cecil, einer der Haupterschließer von Tonsai, die Erkenntnisse der vergangenen Jahre zusammen. “Wir haben hier ein einzigartiges Problem mit dem Material, das dringend vollständig behoben werden muss, damit es keine Verletzten und Toten gibt.”
Und die Zeit drängt, denn Klettern in Thailand wird immer beliebter. In der Tonsai Bucht gibt es Routen, die werden 20 Mal am Tag geklettert, statt 20 Mal im Jahr wie andernorts, sagt Tom. “Tidal Wave”, im Dach direkt am Strand, ist vermutlich die meistgekletterte 7b der Welt, bestätigt Elke Schmitz, Betreiberin von Basecamp Tonsai. “Da musst Du in der Hauptsaison eine Nummer ziehen, um einsteigen zu können.”
Spektakuläre Klettereien in paradiesischer Umgebung
Kein Wunder, ist Tonsai doch eine Traumdestination für Kletterer: Spektakuläre dreidimensionale Klettereien in bestem Kalkstein, die perfekten Griffe am richtigen Platz, mehrere hundert Routen aller Schwierigkeitsgrade in Laufentfernung vom Bungalow. Mehr noch – Strand, Sonne, gute Küche und entspannte Partyatmosphäre am Abend machen die Phranang Peninsula nahe Krabi zu einem echten Urlaubsparadies. Und wer will in den Ferien schon über Sicherheit nachdenken?
Tatsächlich beschäftigt das Sanieren von Routen, das “Rebolting”, die Klettergemeinde vor Ort seit vielen Jahren. Denn schon wenige Monate nach dem Erschließen der ersten Routen Anfang der 90er stellen die Kletterer fest, dass nagelneue Expansionshaken unter dem schieren Körpergewicht eines Kletterers brechen können.
Es folgt eine Phase des Rebolting mit Haken aus verschiedenen Varianten von rostfreiem Stahl und diversen Klebersorten. “Stainless steel” – daraus werden immerhin Schiffe gefertigt. Das sollte halten! Doch auch dieses Material korrodiert gnadenlos und lässt von außen scheinbar intakte Haken zu einer echten Gefahr werden.
Gefährlicher Cocktail aus Wasser, Mineralien und Säure
Der Grund liegt im Innern der Felsen: Wasser rinnt durch die feinen Brüche und Risse im Kalk, löst Magnesium und Calcium aus dem Gestein und formt auf diese Weise die Säulen und Stalaktiten, die das Klettern hier zu einem ganz besonderen Erlebnis werden lassen. In Kombination mit der üppigen Pflanzenwelt auf and an den Felsen wird die Lösung allerdings zusätzlich mit Säure angereichert – eine tödlicher Cocktail für die meisten Metalle. In Zusammenspiel mit den tropischen Temperaturen, dem Meeressalz in der Luft und einer ganz bestimmten Menge an Luftfeuchtigkeit korrodieren die Haken in atemberaubender Geschwindigkeit.
Auch in anderen Klettergebieten am Meer ist das Problem ein Thema. Aufgrund fehlender Vegetation auf den Felsen oder wegen anders gelagerter klimatischer Bedingungen geht der Verfall der Haken andernorts jedoch nicht so schnell. “Was in Kalymnos vielleicht 20 Jahre dauert, braucht in Thailand nur 6 Monate”, erklärt Elke. Doch die Liste von betroffenen Kletterparadiesen ist lang: Dominikanische Republik, Kalymnos, Calanques, Sardinien, Südafrika, Cayman Islands…
Die Antwort ist einfach, aber teuer: Titan!
Nach vielen Experimenten mit den verschiedensten Haken- und Kleberarten haben 1998 Kletterer auf den karibischen Cayman Islands in Zusammenarbeit mit Metallurgen aus den USA die Antwort gefunden: Titan! Das superresistente Metall hat nicht nur an der Wand, sondern auch im Labor alle Härtetests mit Bravour bestanden. Endlich – nach Jahren der schrittweisen Verbesserung eine endgültige Lösung auch für Thailand. Ein Quantensprung! Erste Titan-Bolts erreichen im Jahr 2005 die Phranang Peninsula.
Doch das Rebolting der über 500 Routen im Kletterparadies braucht Zeit und Geld. Jeder Titan-Haken kostet zu Beginn um die 35 Euro – und die Routen sind erfreulich lang in Thailand. Inklusive wasserfestem Spezialkleber und Befestigung der Umlenkung kommt eine einzige Route so schnell auf rund 400 Euro.
T(ha)itinium hilft: Kooperationen zur Rettung eines Kletterparadieses
Das dauert zu lange, hat sich Elke von Basecamp Tonsai gedacht und 2009 zusammen mit Tom Cecil das “T(ha)itinium-Projekt” ins Leben gerufen. Ziel: Thaitanium-T-Shirts verkaufen, Spenden sammeln und dann viel mehr Haken als bisher an die Wände bringen.
Im selben Jahr ist auch Josh Lyons wieder einmal in der Bucht und hört von der neuen Initiative. Werbung machen und Spenden sammeln – das ginge doch am besten mit einem Film, denkt sich der US-Amerikaner, der viele Jahre lang Routen in Thailand entwickelt hat und das Bolt-Problem von der Pike auf kennt. Er steigt federführend in das Projekt ein und beginnt bald mit der Produktion einer Dokumentation. Joshs Film “Thaitinium” liegt jetzt als DVD vor. Pro Silberling oder T-Shirt können die Initiatoren einen Bolt anschaffen.
Denn mit einer Reihe von Kooperationen im Rahmen des Projektes sind zwischenzeitlich auch die Produktionskosten auf rund 10 $ pro Bolt gesunken. Eine Route kostet jetzt etwa 150 $ – immer noch kein Schnäppchen für Hobby-Bohrer, aber schon realistischer in der Umsetzung.
Urlaub an der Bohrmaschine
Der Enthusiasmus der Initiatoren ist ansteckend: Neben den Routenerschließern und der einheimischen Klettergemeinde greifen nun auch eine Reihe von regulären Tonsai-Urlaubern zu Bohrmaschine und Sicherungsgerät. In der Hauptsaison 2010/2011 hat die Tonsai Bucht so viele Helfer an der Bohrmaschine gesehen wie noch nie. “Über 30 verschiedene Leute haben mit angepackt”, schwärmt Josh. “5-10 pro Tag, wenn die Truppe draußen war zum Bohren.” Komplett reboltet sind nun mit “Monkey World”, “The Nest (Wild Kingdom)” und “The Keep” einige der beliebtesten Wände.
Tonsai ist heute schon sicher! Aber: Nach dem Bohren ist vor dem Bohren
Nach den Bemühungen der vergangenen Jahre sind sich alle Beteiligten einig: Tonsai ist heute schon sicher! Die beliebtesten Routen sind lange oke, sagt Elke, die einen der maßgeblichen Kletterführer der Region herausgibt. In dem Buch gibt es zu jeder Route eine Angabe zum Status des Bolts. Wer an den verbliebenen Expansionshaken klettert, tut dies auf eigene Gefahr. Und genau Hinschauen lohnt sich immer: Gelegentlich mögen Klebehaken der letzten Generation aus glänzendem Stahl vertrauenserweckender wirken als die matten Titanium-Bolts.
Ab Januar 2012 geht es weiter: “Cat Wall” und der der gesamte Bereich am Strand von Tonsai, der besonders hart geklettert wird, stehen dann im Fokus von T(ha)itinium. “Im aktuellen Tempo brauchen wir vermutlich 3-5 Jahre, bis wir wirklich alle Routen in Tonsai und Umgebung reboltet haben”, rechnet Tom. “Unterstützung ist daher herzlich willkommen – finanzielle Hilfe genauso wie ein Arbeitseinsatz und sei es nur für das Sichern der Routenbohrer.”
Alle Infos zu Thaitanium gibt es bei lyonsjosh@hotmail.com
Web: http://www.thaitaniumproject.com
Facebook-Gruppe “The Thaitanium Project”: https://www.facebook.com/group.php?gid=381487500299&ref=ts
Copyright Bilder:
Elizabeth Miller und Elodie Saracco
3 Comments
Suska
Sehr schoener Bericht Frau Viel!
Ani
Hey Simone,
cool, dein Bericht! Hatte in der DAV-Zeitschrift davon gelesen und gleich an dich denken müssen!
Hast du auch schon mitgebohrt ;-)? Dann pass schön auf dich auf, dass dir nichts passiert!
Simone
Kein Zufall –> der Bericht im Panorama ist auch von mir, bzw. auf Basis dieses Textes hier entstanden. Da stark gekürzt und redigiert allerdings ohne Namensnennung. 🙁
Mitbohren werde ich wohl nicht, aber diese Woche wohl mal mitgehen zum Sichern und Helfen!