Thailand

Idylle und Unglück im “Venedig des Ostens”

Nummer 249

Am weiß gestrichenen Gartenzaun hängt eine Hausnummer und ein Briefkasten. Die üppigen Topfpflanzen stehen Spalier bis zur Anlegestelle. Hier gilt das ganze Jahr über: Wasserweg statt Straße. Postbote und Müllabfuhr beehren die Nummer 249 am Khlong “Bangkok Yai” ausschließlich von dieser Seite. Ein paar Meter weiter: Familien sitzen auf ihrer Verenda am Kanal, Frauen hängen Wäsche auf, Kinder plantschen im Wasser. Vorort-Idylle im “Venedig des Ostens”.

Seit seiner Gründung im 18. Jahrhundert ist Bangkok eine Stadt am Wasser: Der große Fluss Chao Praya, der die Hauptstadt Thailands auf seinem Weg zum Meer durchfließt, wird gespeist von einem komplexen System von Wasserstraßen. Unzählige Kanalbrücken, schwimmende Märkte und Taxiboote gehören hier genauso zum Stadtbild wie Schnellstraßen, Garküchen und Tuktuks. Und wenn oben wieder einmal alles stillsteht im Dampf der Stadt, dann sind die Expressboote ganz klar das bessere Fortbewegungsmittel durch die Megacity.

Monsun + Zyklon = Jahrhundertflut

Hochwasser im Venedig des Ostens

Seit Jahrzehnten, wenn nicht seit Jahrhunderten, kämpft die Stadt am Wasser jedoch auch mit den Nachteilen einer Siedlung in der Flussniederung. Das Hochwasser kommt regelmäßig, vor allem mit den ergiebigen Monsunregen im August/September und mit der zunehmenden Bebauung in früheren Auen. Bringen die mächtigen Zyklone vom Indischen Ozean noch weitere Wassermengen aus dem Osten herüber, leidet die ganze Region unter gigantischen Fluten.

Das “Jahrhunderthochwasser” von 2011 sorgt in Teilen von Vietnam und Kambodscha sowie in Zentralthailand nördlich von Bangkok wochenlang für landunter. Für Kamboscha und Thailand werden 10-15 % Einbußen bei der Reisernte gemeldet. Da beide Länder noch stark von ihren landwirtschaftlichen Erträgen abhängen, ein massiver Einschnitt in die Produktion des Jahres. In Thailand ist darüber hinaus ein wichtiges Gewerbe- und Industriegebiet bei Ayutthaya (das nördlich von Bangkok zwischen zwei Flüssen liegt) betroffen: Die Flut hat zahlreiche Fabriken beschädigt oder zerstört. Der Zugverkehr durch dieses Gebiet Richtung Norden wird für viele Wochen komplett eingestellt.

Das politische Hochwasser

Weitere Maßnahmen: Geparkte Boote treiben mit laufenden Motoren den Wasserfluss an

Ende Oktober dann steht das Wasser vor den Toren der Hauptstadt. Auf dem Weg ins Meer muss es irgendwie durch die Wasserstraßen Bangkoks. Ein komplexes Schleusensystem im Kanalnetz – nach und nach installiert infolge früherer Hochwasserkatastrophen – erlaubt tatsächlich eine bewusste Steuerung der Wassermassen – zumindest in Teilen.

So wird die Flut zu einer Sache der Politik: Welche Stadtteile sollen geschützt werden? Welche werden geopfert? Die Entscheidung fällt klar zugunsten von Innenstadt und Geschäftszentrum aus. Sukhumvit, Silom Road und die Gegend um die Hauptsehenswürdigkeiten (Königspalast und große Tempel) werden mit aller Macht abgeschottet.

Auf die Barrikaden

Bescheidene Vorsichtsmaßnahmen in der Innenstadt

Große Barrikaden aus Sandsäcken werden errichtet, wo das Wasser überzuschwappen droht. Hunderte von Pumpen leiten das gefährliche Nass zurück in Kanäle und Fluss, wenn es den zentralen Stadtteilen zu nahe kommt. Das Vorhaben gelingt: Downtown Bangkok ist zu keiner Zeit in dem mehr als zwei-monatigen Kampf überschwemmt, der internationale Flughafen durchgehend voll funktionsfähig. Touristen, die aller Warnungen zum Trotz ihren Weg in die City finden, nehmen außer Sandsäcken und eilig errichteten Betonschutzwänden keinerlei Anzeichen einer Flutkatastrophe wahr.

Doch wie kann sich die Politik herausnehmen, bestimmte Stadtteile zu verschonen und andere so schnöde aufzugeben? Da werden doch wieder nur die Interessen der ohnehin schon Wohlhabenden vertreten, ist die Meinung in den Foren und Blogs. Die öffentliche Diskussion kocht hoch.

Nördlich von Banglampoo, im Viertel um den überfluteten Lokalflughafen Don Muang, gehen die Bewohner auf die Barrikaden. Nach vier Wochen Wasser in ihren Wohnungen und Geschäften wollen sie sich Erleichterung verschaffen und beginnen, die “Big Bag Wall” niederzureißen. Politiker verhandeln, Geld wird geboten, der Schutzwall wiederhergestellt.

Nachspiel in 2012

Rettung der Habseligkeiten

“Wir müssen unsere Geschäftszentren erhalten”, ist das Argument der Regierung. In Downtown werde das meiste Geld verdient. “Ihr wollt doch nur weiter in Euren Hochglanz-Shoppingcentern in der Innenstadt flanieren und Euer Leben ungestört weiterleben, während die Slums absaufen”, polemisiert die Gegenseite.

Ende des Jahres ist das Wasser zum größten Teil abgelaufen. Sandsäcke  und Betonmauern verschwinden, Straßen werden gekehrt, Geschäfte geputzt. Waser und Schlamm haben unglaublich viel zerstört. Die Entschädigung wird für die meisten Familien und Geschäftsleute nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein. Immer noch gibt es Lieferengpässe bei Waren aus Fabriken direkt nördlich von Bangkok.

Und auch der politische Schaden dürfte noch eine Weile nachhallen – sei es weil die erst im Juli 2011 gewählte Regierung nicht klug gehandelt hat oder weil die Gegner der Roten eine günstige Gelegenheit in der Krise sehen. Es dürfte wieder ein interessantes Jahr im Königreich werden.

Anmerkungen:

1. Die Bilder habe ich alle selbst aufgenommen, die Qualität ist aufgrund diverser Umstände (Handy-Shot, fahrender Zug oder fahrendes Boot) nicht immer optimal.

2. Die Darstellung des Jahrhunderthochwassers ist meine subjektive Perspektive, die sich aus der Lektüre diverser Berichte und Forenbeiträge der letzten Monate speist.

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