In Transit

Neues Visum: 72-Hours Roadtrip to Malaysia

Das wird nix mehr. Wir brauchen einen neuen Bus. Der hier ist in jedem Fall kaputt. Sieh es ein! Wenn ein Getriebe erstmal so jammert, dann ist es rum. Insbesondere, wenn sich kein einziger Gang mehr einlegen lässt und das Fahrzeug schlicht nicht mehr anrollen will…

Mit stoischer Gelassenheit versucht es der malaiische Busfahrer erneut. Die Geräuschentwicklung aus dem Motorraum lässt einem die Haare zu Berge stehen. Oke. Er stoppt. Er wartet. Probiert es erneut. Zweiter Gang, erster Gang. Wagen zieht einfach nicht. Er wartet. Diesmal länger. Was soll passieren? Wundersame Selbstheilung durch 3-minütige Atempausen für das Getriebe? Neuer Versuch. Kreischen, Reiben, Schaben. Warten.

Krisenmanagement Fehlanzeige

Überschwemmungen in Thailand

Wenn man sich den Fakten stellt, ergeben sich sofort die beiden offensichtlichen Fragen: a) Warum ist dieser Bus überhaupt im Einsatz? Vermutlich ist das Getriebe nicht erst seit heute morgen – sagen wir mal – “angegriffen”. b) Wie lange will sich der Busfahrer noch der Illusion hingeben, dass wir es bis zur Grenze schaffen?

Gut, 20 der 60 Minuten Richtung Thailand haben wir schon mit Erfolg zurückgelegt. Bleiben ja nur noch gut 10 Stunden, bis ich zurück bin in der Heimat. Was mich leicht bedenklich stimmt, ist eigentlich nur die Idee einiger Backpacker, dass der Busverkehr im Süden Thailands wegen der Überschwemmungen eingestellt wurde.

“Wie soll das bloß werden?”

“Wissen Sie etwas zu der Lage in Thailand? Kommen wir überhaupt dorthin? Was sollen wir machen? Wie wird das bloß?” So etwa gestaltete sich die sorgenvolle Kommunikation, der ich am Morgen im Schalterraum des thailändischen Konsulats lauschen durfte. Natürlich weiß niemand im malaiischen Kota Bahru irgendwelche Details zur Gemengelage im Nachbarland. Derlei Kenntnisse sind hier auch nicht wirklich von Interesse. Nicht nur, weil keiner der Befragten selbst nach Thailand reist, sondern auch weil es nicht in der Natur der Menschen hier liegt, derlei vorausschauende Fragen zu stellen.

Harte Zeiten für Kontrollfreaks und Newbies

Kiosk: Futter für die Reise-Nerven

Es ist der westliche Wille zur Kontrolle eines gesamten Vorgangs, die Not einen Prozess bis zum Ende zu durchdringen, die das Reisen in Dritt-Welt-Ländern gelegentlich etwas sperrig und anspruchsvoll erscheinen lässt. In der Art der Fragestellung lassen sich auf diese Weise leicht die nervöseren Charaktere, die Kontrollfreaks und Projektmanager sowie natürlich die Backpacker-Newbies identifizieren.

Wann fährt der Bus? Wie lange dauert die Reise? Wie funktioniert das mit dem Umsteigen? Was kostet es? Wo komme ich genau an? Was mache ich dann? Gibt es noch günstigere Alternativen?
Im Lauf der Jahre habe ich in meinem vegetativen Nervensystem einen Schalter gefunden, der Umgebungs-indiziert den Travel-Flow aktiviert.

Der Travel-Flow

Unveränderliche Kennzeichen des Travel-Flow:

  • Geringe Wahrnehmung von übermäßiger Wärme, Kälte oder von Gerüchen aller Art
  • Ausblenden unkomfortabler Situationen (anspruchsvolle Toilettengänge, beengte Sitzplatzpositionen in Bus/Zug/Flugzeug, Tragen eines schlecht gepackten Rucksacks oder sinnlos vieler Taschen über einen längeren Zeitraum)
  • Veränderte Wahrnehmung von Zeit (Verspätungen generell, unbekannte Fahrpläne/Zeitpläne/sonstige Pläne)
  • Vollständige Akzeptanz der üblichen Schwierigkeiten in der Kommunikation mit Eingeborenen
  • Überhören von Offerten fliegender Händler oder mobilen Botschaftern diverser örtlicher Dienstleister (“Where you go? Have hotel? Want buy clothes? Cheap, cheap at my cousin’s/brother’s/friend’s place!”)

Zur Erreichung dieses quasi-meditativen Zustands sind außerdem hilfreich: Hitze, Müdigkeit und eine spezifische Form der Gleichgültigkeit. Weniger hilfreich: Termindruck (Abflug zu einem fixen Zeitpunkt in der näheren Zukunft), Krankheit und Hangover oder ein generell erhöhter Stresslevel (etwa wenige Tage nach Verlassen eines Büros in der westlichen Hemisphäre).

Minivan-Fahrer tiefenentspannt und wahnsinnig

Had Yai - ein Hub im Süden Thailands

Der Roadtrip nach Malaysia verlangt eine ordentliche Dosis Travel Flow. Die Anreise an einem Montag im späten März lässt sich noch ganz gut an. Mal abgesehen von der Nahtod-Erfahrung in Had Yai, als der Minivan-Fahrer sich so gar nicht für den herannahenden Verkehr von der Vorfahrtsstraße zur Rechten interessieren will. Und der Tatsache, dass er eeeeewig durch die Stadt gurkt und mich als allerletztes am Busbahnhof rauslässt, wo die Connection nach Sungai Kolok, dem Grenzort auf thailändischer Seite, startet.

Die Fahrt durch die südlichen Provinzen illustriert dann recht anschaulich den nach wie vor schwelenden Konflikt zwischen der muslimischen Bevölkerung und der thailändischen Regierung. Alle paar Kilometer gibt es Checkpoints des Militärs – Straßensperren und Unterstände mit Sandsäcken und Stacheldraht. Beeindruckend.

Regen, Regen, Regen, fast wie zu Hause

Grenzbrücke zu Malaysia im Osten

Ankunft Grenze. “Da lang”, bedeutet mir der Minivan-Fahrer und zeigt Richtung eines massiven Gebäudekomplexes. Unnötig zu sagen, dass das Wetter sich genau jetzt zugunsten eines ergiebigen Regenschauers gewendet hat. Nach wie vor nicht in Besitz eines Schirms, dafür im Besitz zweier Taschen mit zwar wenig Wechselbekleidung, aber allerlei sensibler Technologie zum Home-Entertainment (Netbook, Kamera, iPhone *seufz), installiere ich die Regenjacke schützend über dem Gepäck und trabe die paar Hundert Meter zur Passkontrolle. In keiner Zeit klitschnass. Feine Sache.

Departure Card, Arrival Card, zwei Stempel hier, zwei Stempel dort, dazwischen eine Brücke, noch mehr Regen und das dringende Bedürfnis jetzt aber wirklich mal auf Toilette zu müssen. Angekommen in Malaysia schüttet es immer noch wie aus Kübeln. Ein hilfreicher Expat, der hinter dem Stempelschalter auf seine Ehefrau wartet, weist mir den Weg zur Toilette und bietet mir eine Mitfahrgelegenheit zumindest für die halbe Strecke nach Kota Bahru, Residenzort des nächstgelegenen thailändischen Konsulates an.

Unruhen in den südlichen Provinzen

Der gebürtige Neuseeländer ist überaus politisch interessiert und klärt mich über die aktuelle Lage in den südlichen Provinzen auf. Ja, es gibt immer noch Kämpfe und Bombenattentate. Yala, eine weitere Stadt im Süden, hat mit Einbruch der Dunkelheit eine Ausgangssperre. Später am selben Tag lese ich von einem Drive-By-Shooting in Yala an genau jenem Montagmorgen.

Hauptinhalt des Konfliktes ist nach Kenntnis des Kiwis das Ringen der muslimischen Malai-Bevölkerung um Anerkennung ihrer Sprache. Teile der Bewegung streben natürlich auch die Unabhängigkeit von Thailand an. Der Konflikt besteht seit vielen Jahren und hat in der Regel keinerlei Auswirkungen für ausländische Reisende.

Ein Duft nach alten Socken

Schmuddel hoch 10, zum Glück gabs Alternativen

Nach gefühlten weiteren 5 Stunden im Regen und dem Check-In in dem weniger schlimmen der beiden gruseligen Backpacker-Hostels in Kota Bahru stelle ich fest, dass sich Malaysia für eine eigene Zeitzone entschieden hat und eine Stunde voraus ist. Damit ist das thailändische Konsulat wohl schon geschlossen. Damn it. I don’t want to stay here two nights. Pleeeease!

Die gute Nachricht: Für 5 Ringgit extra habe ich WiFi in dem besten der stinkigen Zimmer. Es hat ein Fenster zur lärmigen Hauptverkehrsstraße, statt wie alle anderen Besenkammern nur zum Gang hin, der eindringlich nach alten Socken und ungewaschenen Männern riecht.

Sultan who…???

In einer Weiterbildungseinheit im Internet lerne ich kurze Zeit später, dass am 30. und 31. März im malayischen Bundesstaat Kelantan, in dem ich mich befinde, der Geburtstag von Sultan Kelantan gefeiert wird. Vielleicht ist der Travel-Flow ja doch nicht immer so prima? Unangenehmere Überraschungen dieser Art kommen gerne mal, wenn man jegliche Kontroll- und Planungsfunktion abschaltet…
Der Feiertag wäre dann am Mittwoch. Bleibt zu hoffen, dass sich das thailändische Konsulat nicht für diesen dubiosen Sultan interessiert oder das neue Visum innerhalb Dienstag fertigkriegt. Lalala…

Das Konsulat, der Regen und die Zeit

Die Macht: Thai Consulate

Dienstagmorgen. Passfotos. Natürlich. Kopie des Flugtickets. Jaja. Hab ich natürlich auch nicht vorbereitet. Aber alles kein Problem, alles next door. Cheap, cheap, as well. Spaziergang zum Konsulat im Regen. Diesmal mit Schirm, geliehen vom Hostel. Visum innerhalb eines Tages? Niemals. Morgen früh 10 Uhr, vorher geht gar nix. Na gut. Immerhin keine Sultan-Party. Der Feiertag wurde kürzlich in den November verlegt, höre ich. Wikipedia ist also hintendran.

10 Uhr früh, Malaysia-Zeit. Regen, intensives Grau, überall Muslim-Männer und nix zu tun. Wie immer hilft eine kleine Fotosafari, um Langeweile zu vermeiden und der Besuch diverser Märkte. Ein Krimi aus der Hostel-Bibliothek über Sodom und Gomorrha in Bangkok und ein ausgedehnter Mittagsschlaf killen weitere Stunden. Draußen Grau und kältlich. Habe keine Wechselbekleidung für dieses Szenario.

Endspurt in Malaysia

Mittwochmorgen. Der dritte Tag in denselben, immerhin wieder getrockneten Klamotten. Prinzip Zwiebel. Rieche zwischenzeitlich genauso wie der Rest des Hostels. Mimikri. Perfekte Anpassung an die Umgebung. Yuck.
Dann die erlösenden Worte von der Schalterbeamtin im Konsulat: “Ihr Visum ist fertig.” Yippieh! Drei weitere Monate freie Fahrt im gelobten Land! Nix wie weg hier.

On the run and on travel flow again

Rübermachen ins gelobte Land

Gönne mir ein Taxi vom Konsulat zum Busbahnhof. Gut, in Wirklichkeit ist es ein Privatmann, der am Konsulat rumlungert und leichtgläubige Farangs durch die Gegend kutschiert. “Want taxi? Have cheap price, my friend!” But who gives a shit. Bin im Super-Travel-Flow-Mode und außerdem on the run. Was macht da schon ein kaputter Bus 20 Minuten nach dem Verlassen von Kota Bahru? Kaum eine Stunde später kommt der nächste. Beim Überqueren der Grenze zu Fuß regnet es wieder. Klar. Ist wie daheim.

Zurück im gelobten Land

Und dann: Endlich wieder Thailand! Verständliche Speisekarten, leckeres Essen, komfortable Minivans. Bin ein schlimmes Gewohnheitstier geworden. Da macht es auch fast nix, dass die Rückreise nach Krabi aufgrund der Überschwemmungen insgesamt 13 Stunden dauert. Immerhin komme ich überhaupt am selben Tag an. Die Volunteer-Kollegen Rach und Neil, unterwegs von einer anderen Grenze auf einem “kleinen” Visa-Run (nur Stempel, keine neues Visum), stranden im Flughafen, respektive in einer Schule und müssen dort die Nacht auf dem Boden verbringen.

Ich genieße eine Nacht in einem respektablen Hotelzimmer in Krabi und vor allem die letzte Etappe der Reise am nächsten Morgen nach Ao Luk: Der Minivan ist vollbesetzt mit Frauen ohne Kopftücher. Thai-Damen auf dem Weg zu ihrer Arbeit in Banken, Schulen, Krankenhäusern und Läden der Region. Gesprächig, aufgeweckt und fröhlich wie immer. Ich mag dieses Land einfach. Schön, wieder zu Hause zu sein. 🙂

Bildergalerie Markt in Kota Bahru:
http://www.simone-viel.de/blog/impressionen-eines-asiatischen-marktes/

Kleine Visumskunde:
http://www.simone-viel.de/blog/visa-issues/

2 Comments

  • tanja

    gerade lag ich noch im “Sonntag-Morgen-Gammel-Modus” im Bett und wollte nur mal schauen, was Du so machst……schon haben sich alle Nervenzellen gerade gestellt ob der Erinnerungen, die Deine exzellent naturgetreuen Beschreibungen wecken! Ei, was soll ich sagen? ich bräuscht so ca. 20 min für “aus dem Schlafzeug” zu “abfahrbereit für den Flieger”…
    Bist Du nicht in so einem Minivan zugestiegen als ich drin war und wir uns so getroffen haben?

    Aber wieso können sich Geräusche von kaputtem Getriebe, Gerüche von Frischfleischmärkten, alten Socken und runtergekommenen hostels sowie durchweichte, auf der Haut klebende Klamotten bei zu Fuß zurückgelegten Grenzübergängen und dummes Backpacker-geschwafel nur SO SEHR RICHTIG anfühlen (und sei es auch nur in der Erinnerung)?

    Enjoy!!!!

    • Simone

      Du hast recht, es war wirklich ein Minivan! Same, same, but different. Wo war das noch? Nord-Laos, Luang Namtha nach irgendwo? Davon gibt’s kein Blog und kaum Fotos – nicht-digitale Zeiten, unvorstellbar… *lach

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